Handwerk in Badra

 

Zum 01.01.2016 schloss die Bäckerei Hengstermann ihre Filiale in Badra. Die ehemalige Gemeindebäckerei, die nach der Wende von der Familie Hengstermann gekauft worden war und zunächst als eigenständige Bäckerei, später als Filiale der Großbäckerei in Sondershausen betrieben wurde, steht zum Verkauf als Wohnhaus.

Damit verschwindet wiederum ein Stück des dörflichen Gemeinschaftslebens, denn seit ihrem Bestehen wurde die Gemeindebäckerei nur verpachtet, alle Versuche der Pachtbäcker, wie z.B. von Bäckermeister Grüber, der mehr als 20 Jahre in Badra arbeitete, das Backhaus als Privatbäckerei zu erwerben, wurden abgelehnt. Das geschah wohl aus den Überlegungen heraus, wie wichtig ein Backhaus für die Infrastruktur eines Dorfes ist und welche Bedeutung ein eigenes Backhaus für die Autarkie eines Ortes besitzt.

In diesem Zusammenhang sollte man einmal einen Blick in die Geschichte unseres Dorfes werfen, um zu erkennen, wie vielfältig das Leben auf dem Dorfe war und welche Fülle an Handwerkern und sozialen Einrichtungen in unserem Dorf vorhanden waren.

Der in den dreißiger Jahren in Badra als Lehrer angestellte A. Lauterbach ermittelte für die Zeit um 1800 (das Dorf besaß damals 596 Einwohner) folgende Handwerker: 3 Schneider,     2 Leineweber, 1 Schuster, 2 Schmiede, 2 Tischler, 2 Wagner, 1 Böttcher, 1 Sattler, 7 Maurer, 1 Zimmermann, 1 Fleischer, 1 Bäcker.

Darunter befinden sich – wie man an den Berufsbezeichnungen deutlich erkennt – hochspezialisierte Handwerker, deren Beruf heute kaum noch ausgeübt wird. Auch die Leineweberei gehört zu den ausgestorbenen Handwerken in unserem Ort. Diese war ursprünglich durch die in der Goldenen Aue angesiedelten Flamen im Hochmittelalter in unsere Gegend gebracht und verbreitet worden. Bis 1890 soll eine Weberei im Dorf bestanden haben.

Betrachtet man die Zeit um 1950, also 150 Jahre später, hatte sich das Bild zwar teilweise gewandelt, aber immer noch gab es vielfältiges altes Gewerbe und eine große Zahl sozialer Einrichtungen, die das Leben im Dorf sicherten und eine autarke Dorfgemeinschaft gewährleisteten.

Immer noch gab es Schneider im Dorf, sie waren gerade in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg gefragt, um aus Altem Neues entstehen zu lassen. Als Schneiderinnen arbeiteten Frau Pätz und Frau Pönicke, die sich vor allem auf die Damenmaßschneiderei spezialisiert hatten. Herr Assmann und Herr Heupel waren hauptsächlich für die Herrenausstattung zuständig. Als Schuster arbeitete Herr Stecklig in der Staatsstraße. Er reparierte vorwiegend Schuhe und hatte damit genügend Arbeit. Gleiches galt für Herr Franz Paul in der Hauptstraße, der dort eine Sattlerei betrieb. Zwei Schmieden versorgten das Dorf. Das waren die Schmiedewerkstatt Bösenberg/Mienert und die Schmiede Seeber, beide an der Staatsstraße liegend. Zwei Tischler betreuten ihre dörflichen Kunden, die Tischlerei Marek, ehemals Lange und Tischler Schön.  Außerdem existierte bis Ende der sechziger Jahre die Stellmacherei Wangemann im Kirchtal. Bis 1959 existierte der Elektromeisterbetrieb von Erich Stegmann. In seiner Nachbarschaft befand sich der Betrieb von Eduard Knorr, der als Klempner und Feinmechaniker arbeitete.

Die Versorgung der Bevölkerung lag zum einen in den Händen der Konsumverkaufsstelle, geleitet von Herr Gläser, die sich in der Gemeindeschänke befand, bis auf dem Teichhof ein Neubau errichtet wurde. Auf der Galerie der Gemeindeschänke betrieb Frau Kirchberg eine Verkaufsstelle für Waren des täglichen Bedarfs. Es gab aber auch noch den Kolonialwarenhandel Bornkessel in der Landstraße, der 1908 gegründet worden war und auch die Herstellung von floristischen Artikeln – wie Grabschmuck – übernahm.

Drei Gasthöfe – der Gasthof „Zur Linde“, der „Gasthof zum Anger“ und die Gemeindeschänke versorgten die Bevölkerung mit Getränken, betrieben aber auch noch kleine Lädchen mit einem eingeschränkten Warenangebot. Ein eigener Getränkehandel befand sich im Gehöft von Hugo Barche. Die BHG, bot alles an, was in den landwirtschaftlichen Betrieben benötigt wurde. Dafür war ein Gebäude in der Staatsstraße errichtet worden.

Wie schon erwähnt, spielte das Gemeindebackhaus eine wichtige Rolle im Dorf. Hier wurden nicht nur Brot und Brötchen sowie feine Backwaren verkauft, hier wurden auch die hausgemachten Kuchen abgebacken. Sonnabends buk der Bäcker für das gesamte Dorf die beliebten Kartoffelscheiben ab, gegen 18:00 Uhr sah man die Frauen mit den großen Blechen nach Hause eilen, wo schon die Familie auf das leckere Gericht wartete.

Für Fleisch und Wurst waren drei Hausschlachter zuständig: Herr Arno Krönig, Herr Walter Herold und Herr Helmut Fiedler.

Soziale Einrichtungen existierten in verschiedenen Bereichen. Noch in den fünfziger Jahren half die Hebamme, Frau Ose, den neuankommenden Badraern ans Licht der Welt. Herr Dr. Langbein, 1914 in Badra geboren, kam wöchentlich von Frankenhausen nach Badra, um hier seine Sprechstunden abzuhalten.  Seine Nichte, Frau Hanna Neidhold, war Jahrzehnte als hilfreiche Gemeindeschwester tätig.  Einmal wöchentlich kam ein Zahnarzt nach Badra.

In der Poststelle der Familie Minalga herrschte stets reger Betrieb, auch ohne PC funktionierte alles. Die Kreisbibliothek unterhielt in der Schule eine Filiale, einmal wöchentlich konnte man Bücher tauschen. In der Zeit ohne Fernsehapparat waren die wöchentlichen Kinoveranstaltungen des „Landfilms“ bei Kindern und Erwachsenen beliebt.

Alle Handwerksbetriebe, alle sozialen Einrichtungen förderten das Dorfleben, dort wurde erzählt, es wurde gelacht. Jeder kannte Jeden, es gab keine Anonymität. Jedes Stück dieses dörflichen Lebens, das wegbrach, hinterließ eine Lücke.

So ist auch der Wegfall der Bäckereifiliale in der Badraer Hauptstraße ein großer Verlust für das Dorf, denn nicht alle Einwohner können aus den verschiedensten Gründen problemlos eine Bäckerei erreichen.

Unser Dorf ist wieder ein Stück ärmer geworden.

 

Annerose Billert
Badra (April 2016) 

 
 
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