Verwandte in Amerika?

 

Seit geraumer Zeit läuft im Fernsehen die Doku-Serie „Goodbye Deutschland! Die Auswanderer“. Im Mittelpunkt der Serie stehen Menschen, die Deutschland verlassen, um in anderen Ländern , auf anderen Kontinenten ein neues Leben aufzubauen.

 

Auswanderungsbewegungen sind nichts Neues, man denke nur an die Völkerwanderung in den ersten Jahrhunderten nach Christus. Nach den großen geografischen Entdeckungen wandte man sich dann Zielen zu, die weit außerhalb des europäischen Kontinents lagen.

Dass ein Höhepunkt der Auswanderungsbewegung in der Mitte des 19. Jahrhunderts lag,

ist heute fast vergessen, dass auch unser Heimatort Badra davon betroffen war, wissen nur wenige. Das liegt zum einen daran, dass Aufzeichnungen darüber kaum vorhanden sind, zum anderen ist auch die Erinnerung in den Familien verloren gegangen. Zwischen den Auswandernden und der heutigen Generation liegen mehr als 150 Jahre, es gab selten oder keine Kontakte mehr und damit verblassten auch die Erinnerungen.

Die Hauptauswanderungsziele der Deutschen im 19. Jahrhundert waren die USA,  Kanada, Australien und Südamerika. Im 19. Jahrhundert,  genauer zwischen 1821 und 1910 , verließen 5,45 Millionen Auswanderer mit dem Ziel USA Deutschland, nach Australien wanderten 70 bis 80 Tausend aus. Genaue Angaben über andere Länder und Kontinente liegen kaum vor. Die Zahlen gelten für die offiziell Ausgereisten, die Dunkelziffer wird weit höher liegen, denn wer z. B. aus politischen Gründen auf der Flucht war – und das waren in dieser Zeit viele - ließ sich nicht mit Name und Anschrift registrieren.

                        Die Heimat, den Familienverband zu verlassen, ist zu jeder Zeit ein schwerer Schritt gewesen, zumal es früher fast immer eine Reise ohne Wiederkehr war. Man brach auf in Länder, deren Sprache man nicht beherrschte, deren Verhältnisse nur ungenau bekannt waren und die auch unbekannte Gefahren und eine ungewisse Zukunft brachten.  Von den meisten Auswanderern, vor allem aus der Zeit vor 1900, weiß man nicht, wie es ihnen in der neuen Heimat ergangen ist, ob sie das gefunden haben, was sie erträumten, oder ob sie nie richtig Fuß fassten.

Schwerwiegend müssen die Gründe gewesen sein, die zum Entschluss führten, der Heimat den Rücken zu kehren. Waren es vor dem 19. Jahrhundert hauptsächlich religiöse Gründe und politische Verfolgung – man wanderte zu dieser Zeit vor allem in andere europäische Gebiete aus - gab es nach 1800 noch andere Gründe. Ein Höhepunkt der Auswanderungen liegt nach 1850, also nach der gescheiterten Revolution von 1848. Jetzt bestimmten die Suche nach besseren Lebensbedingungen, die Flucht vor hohen Steuern und Abgaben,  Wirtschaftskrisen und  Massenarmut in Deutschland, auch Verarmung in der Landwirtschaft die Motive für ein Verlassen der angestammten Heimat. Junge Männer flüchteten häufig auch vor dem Zwangs-dienst in der Armee.

Andererseits warb man in Amerika mit problemlosem billigen Landerwerb in unerschlossenen und unbesiedelten Landstrichen, mit Religionsfreiheit und schier unerschöpflichen Möglichkeiten bis hin zu  gewaltigen Goldfunden. Der Staat bemühte sich um Zuwanderungen, teilweise waren sogenannte Agenten unterwegs, um die Menschen für eine Auswanderung zu gewinnen. Dabei versprach man sogar Unterstützung, um die Kosten der Auswanderung zu finanzieren.

 

Im Thüringer Staatsarchiv in Rudolstadt wird im Spezialinventar eine Auswandererdatenbank geführt. Sie erfasst aus verschiedenen, auch amtlichen Quellen, Personen, die im 19. Jahr-hundert aus den thüringischen Fürstentümern Schwarzburg- Rudolstadt und Schwarzburg- Sondershausen in die USA und andere Länder auswanderten. Sie ist mit Sicherheit nicht vollständig, aber aus Badra finden wir immerhin an die 50 Personen.

Das sind ( in Klammern das Auswanderungsjahr) Caspar Fischer (1854);  Koch, Johann Heinrich August und Familie (1854);  Krause, Albert (1854);  Krause,Johanne Caroline ,18 Jahre, durch Agent Hund aus Frankenhausen, Köchin (1856);  Krause, Johanne Caroline (1856);  Krönig, Christian Friedrich, Musikus (1852);  Lange, Heinrich (1856);  Meier Johann Heinrich Carl, 20 Jahre, Schuhmachergeselle (1858);  Preuße Johann (1854);  Reinhardt, Johann Carl und Ehefrau Bertha ,geb. Haberung (Haferung?) ,2 Kinder und Schwiegervater Georg Christoph Haberung (1868);  Schön, Johann Christian Carl ,26 Jahre ,Landwirt (1882);  Siebert, Caspar und Familie, Schuhmachermeister (1854); Steinhof, Caspar Christian (!857); Teichmann, Johann und Familie (1854);  Wagner, Christian und Familie (1854);  Wangemann, Caspar und Familie (1847).  (Diese Familie findet als einzige auch in der „Chronik der Badraer Pfarrer“ Erwähnung.Außer dem Familienoberhaupt werden noch die Frau und 4 Kinder genannt.):  Wangemann, Heinrich und Familie (1854);  Wangemann, Marie, Witwe, geb. Ludwig, und Familie (1854);  Werther, Günther, Ehefrau Amalie, geb. Reinhardt, und 7 Kinder: Friederike, Robert, Lina, Emil, Günther, Auguste und Minna. Er 50 Jahre, Kinder 23,20,19,16,15,10,8 Jahre (1869).

Hinter jedem Namen steht ein Schicksal, sowohl in der alten als auch in der neuen Heimat.

Da Mitte des 19. Jahrhunderts ein Höhepunkt in der Auswanderungsbewegung erreicht wurde, existierte seit 1846 sogar eine „Allgemeine Auswanderungszeitung“. Hier wurden Nachrichten über Auswanderungsmöglichkeiten, günstige Schiffspassagen und Ratschläge veröffentlicht, aber auch Auszüge aus Briefen Ausgewanderter abgedruckt.

 

Aus den „Hamburger Passagierlisten“ kann man einiges zu den Reisemodalitäten erfahren. So kostete 1907 eine Fahrt von Hamburg nach New York in der 1.Klasse  200 bis 280 Mark, im Zwischendeck, dort reisten die meisten armen Auswanderer, immerhin noch 130 bis 160 Mark. Um 1850 dürfte alles noch um einiges teurer gewesen sein, denn erst seit 1870 setzte sich die Dampfschifffahrt durch. Zu den Strapazen der Reise zählte nicht nur die Seereise an sich mit ihren überladenen Schiffen, den schlechten hygienischen Verhältnissen und der miserablen Verpflegung, auch die Reise vom Heimatort zu den Seehäfen verlangte den Auswanderern einiges ab. Deshalb reisten häufig zunächst die Väter  aus, um in der neuen Heimat zunächst Geld zu verdienen, um die Familie nachholen zu können. Verließ die ganze Familie das Heimatland wurde gespart und alles an Hab und Gut verkauft, um die Fahrt bezahlen zu können. Zeitweise musste zudem noch ein sogenanntes Abzugsgeld entrichtet werden, wenn jemand auswanderte und ein bestimmtes Vermögen ins Ausland ausführte. Mit einem Abzugsgeld wurden aber auch Erbschaften besteuert, die an Ausländer gingen.

Interessant ist auch, wie lange die Seereisen dauerten. In der „ Deutschen Auswandererdatenbank“ des Historischen Museums Bremerhaven findet man dazu die Angaben, dass um 1885 eine Schiffsfahrt nach New York durchschnittlich knapp 15 Tage dauerte, Reisende nach Uruquay waren etwa 24 Tage unterwegs, die Fahrt nach Peru wird mit 62 Tagen angegeben, nach Australien war man 50 Tage unterwegs.Wie viele Menschen werden wohl nie das Ziel ihrer Reise erreicht haben?

 

Heute bietet das Internet viele Möglichkeiten. Vielleicht nutzen Sie es, um nach Ihren Verwandten in Amerika oder Australien zu suchen und nach mehr als hundert Jahren zu erfahren, wie es Ihren Verwandten ergangen ist, die damals so mutig einen Neuanfang wagten.

 

Annerose Billert
Badra
(Juli 2016) 

 
 
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