Backe, backe Kuchen - auch in Badra ruft kein Bäcker mehr

 

 

Das Grundnahrungsmittel Brot nahm seit jeher in der Ernährung des Menschen eine zentrale Stellung ein. Schon die Menschen der Jungsteinzeit hatten gelernt, das Getreide zu kultivieren, es zu mahlen und zu verbacken und damit eine höhere Qualität der Ernährung zu erreichen. Im Laufe der Jahrtausende entwickelten sich aus diesen Fladenbroten der steinzeitlichen Menschen die vielfältigen heutigen Brotsorten.

Gemeinschaftlich genutzte Backöfen wurden bereits seit dem 14. Jahrhundert nachgewiesen, flächendeckend wurden sie jedoch nach und nach erst im 17. Jahrhundert eingeführt. Daraus entwickelten sich meist später handwerklich betriebene Bäckereien. Ob die Entwicklung in Badra auch so verlief, kann man heute nur vermuten.

Der Bau eines Backofens für eine einzelne Familie dürfte sicherlich recht aufwändig und auch sehr teuer gewesen sein. Nur größere Gehöfte mit zahlreichen Mägden und Knechten werden vielleicht über einen eigenen Ofen verfügt haben, weil hier mehr und öfter gebacken werden musste als in kleinbäuerlichen Familien. Aber ein noch wichtigerer Grund, einen Gemeinschaftsbackofen im Dorf zu betreiben, war wohl vermutlich die Feuergefahr, die von den damaligen Backöfen z.B. durch den unvermeidlichen Funkenflug für das Dorf mit seinen holz- und strohgedeckten Häusern als auch Heu- und Strohlagerstätten ausging. Der Standort des Gemeindebackofens befand sich deshalb stets unter Beachtung der Hauptwindrichtung am Dorfrand, um die Feuergefahr so gering wie möglich zu halten. Da wir hauptsächlich Westwinde haben, sollte der Platz für den Backofen am östlichen Dorfrand liegen, damit die Funken nicht in Richtung des Dorfes getrieben wurden. Wo ein Gemeindebackofen gestanden haben mag, lässt sich heute aufgrund der Faktenlage nicht mehr eindeutig nachweisen, auch Straßen- oder Flurnamen weisen nicht auf einen Ort hin, wo die Menschen gebacken haben könnten.

Das wohl älteste bekannte Backhaus des Dorfes befand sich höchstwahrscheinlich am Wohnhaus der Familie Krönig, Am Anger 7A. Betrachtet man heute das Haus, kann man unschwer trotz vieler Umbauten erkennen, dass das Gebäude zu den ältesten Häusern unseres Ortes gehören dürfte. Alle Häuser in der Umgebung des Krönigschen Anwesens sind zudem eindeutig jünger. Das Gehöft weist außerdem eine Besonderheit auf. Noch heute gibt es hier einen Hausbaum, in diesem Fall – wie häufig in Badra- eine Linde. Der Linde sieht man ihr hohes Alter an, keine der vielen Linden im Dorf kann wohl mit ihr konkurrieren. In der Familie Krönig wird das Alter der Linde so überliefert, dass sie bereits existiert habe, als 1818 die Linden auf dem Anger gepflanzt wurden.

Bis in die Gegenwart bezeichnet man den Ortsteil „Am Anger“ und die Grundstücke entlang der Badraer Landstraße bis zum Ortsausgang in Richtung Steinthaleben mit dem Gemeinschaftsnamen „Vor der Linde“, ein Hinweis darauf, dass dieses gesamte Wohngebiet, das auch außerhalb der bekannten alten Ortsgrenze liegt, später entstand, dass also die alte Linde vor dem heutigen Krönigschem Haus bereits existiert haben könnte.

Beim Abriss alter Gebäude auf dem Grundstück der Familie Krönig wurden zudem Reste eines alten Backofens gefunden, die an der Westseite von einer Brandschutzmauer umgeben waren. Noch Ende des 19. und zu Beginn des 2o. Jahrhunderts wurde vom Vorfahren der Familie Krönig hier gebacken. Auch später noch sprachen die älteren Einwohner unseres Dorfes, wenn vom Haus der Familie Krönig die Rede war, vom „alten Backs“, im Gegensatz zum 1910 errichteten neuen Backhaus. Aber Bäcker Krönig arbeitete noch bis in die zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts im „alten“ Backhaus. So lässt sich schlussfolgern, dass sich im heutigen Anwesen der Familien Krönig / Franke wohl das älteste, zurzeit nachweisbare Backhaus unserer Gemeinde befunden haben könnte. Ob neben diesem früher ein zweites Backhaus existierte, ist nicht mehr zu ermitteln,es ist aber unwahrscheinlich, da bereits 1830 nur ein Bäcker unter den Handwerkern in Badra gezählt wurde. Auch die „Chronik der Pfarrer von Badra“ zählt für das Jahr 1872 neben anderen Handwerkern nur einen Bäcker auf, so dass die Schlussfolgerung nahe liegt, dass die alte Bäckerei die einzige des Dorfes war. Ob zwischen 1882 und dem Backhausneubau von 1910 noch eine Bäckerei im Ort errichtet worden war, lässt sich mit dem heutigen Wissensstand nicht mehr nachverfolgen. Offensichtlich handelte es sich bei dem alten Backhaus um eine Pachtbäckerei: Am 1. März 1881 pachtete Heinrich Koch das Backhaus, nach ihm werden als Pachtbäcker aufgeführt Johann Seidenstricker (1891), Theodor Grabe (1897), Richard Keil ( 1904 ).

1910 erbaute die Gemeinde ein neues Backhaus in der Badraer Hauptstraße. Die Gründe für diesen Neubau lassen sich aus heutiger Sicht nur vermuten. Möglich ist, dass ein hauptberuflicher Bäcker, der das Backhaus von der Gemeinde pachtete, erforderlich wurde, da infolge der in Sondershausen einsetzenden Industrialisierung und des beginnenden Kalibergbaus die bäuerlichen Strukturen aufbrachen und immer mehr Einwohner als Industriearbeiter tätig wurden, also wohl auch zunehmend mehr Leute ihr Brot kauften und nicht mehr selbst buken.

Vielleicht war die alte Bäckerei zu klein geworden, um dies zu realisieren?

Wer der erste Bäcker war, der im neuen Gemeindebackhaus arbeitete und auch mit seiner Familie dort wohnte, lässt sich heute nicht mehr mit Bestimmtheit sagen. Nachweislich arbeitete von 1923 bis 1930 der Bäckermeister Wilhelm Bernsdorf im neuen Backhaus.

Nach ihm pachtete Bäckermeister Grüber die Bäckerei. Anfang der fünfziger Jahre wollte er die Bäckerei erwerben, da er gern für immer in Badra geblieben wäre -auch seine Tochter Rosemarie hatte den Meistertitel als Bäckerin erworben - wenn ihm die Gemeinde das Backhaus verkauft hätte. Da die Gemeinde das verweigerte, verließ er mit seiner Familie Badra nach zwanzig Jahren, in denen er als Bäcker in Badra gearbeitet hatte.

Viele ältere Bürger werden sich noch an Bäcker Wehmeier erinnern, der von1952 bis 1956  das Dorf mit Backwaren versorgte.

Ihm folgte von 1957 bis 1963 der Bäckermeister Kurt Ernst. Oskar Jentsch und seine Ehefrau übernahmen von 1964 bis Anfang 1971 das Backhaus. In den siebziger Jahren arbeiteten in Badra die Bäckermeister Lange und Andreas Hengstermann. Von 1981 bis 1990 pachteten Michael und Anne Hengstermann das Backhaus.

Das Backhaus wurde vor allem in den achtziger Jahren umfassend, rekonstruiert, renoviert und modernisiert, deutlich erkennbar am Einbau eines modernen Zyklotherm -4-Etagen-Backofens.

Die Bäckerfamilie Hengstermann kaufte nach der Wende die Bäckerei und betrieb im Gebäude der Bäckerei eine Außenverkaufsstelle ihrer Großbäckerei in Sondershausen. Der Handwerksbetrieb in Badra war stillgelegt. Nur noch an einigen Wochentagen konnten Backwaren erworben werden, der zur Verkaufsstelle geschrumpfte Handwerksbetrieb war nur noch wenige Stunden geöffnet.

Zum 1. Januar 2016 schloss die Bäckerei Hengstermann ihre Filiale in Badra. Das Grundstück und das Gebäude der einstigen Bäckerei standen zum Verkauf.

Unser Gemeindebackhaus bildete in der dörflichen Gemeinschaft einen wichtigen gesellschaftlichen Punkt des Zusammentreffens, des Informationsaustausches und ein die Gemeinschaft förderndes Element.

Bis zum Ende der fünfziger und noch Anfang der sechziger Jahre wurden die Kuchen im „Backs“ gebacken. Erst das Aufkommen der Elektroherde vereinfachte das Backen im eigenen Haus. Damit verschwanden aber viele Traditionen, die mit dem privaten Backen im Gemeindebackhaus verbunden waren.

Noch nach dem zweiten Weltkrieg, so erinnert sich die Tochter von Bäckermeister Grüber, erfolgte das Backen von Brot für einzelne Familien im Backhaus.Hier wurde von den Bäuerinnen das Brot für einen bestimmten Zeitraum für die Familie gebacken. Der Bäcker stellte den dafür notwendigen Sauerteig her. Am Tag vor dem Backen holte sich die Hausfrau eine entsprechende Menge des Sauerteiges ab, im Backtrog wurden zu Hause Mehl, das aus Weizen und Roggen aus eigener Ernte hergestellt worden war, Wasser, Salz, Gewürze und Sauerteig vermengt. Der Backtrog mit dem aufgegangenen Teig wurde am nächsten Tag zum Bäcker gebracht, der dann die Brote formte und für die jeweilige Familie abbuk. Der Bäcker produzierte zwar auch Brot für den Verkauf, aber in der Nachkriegszeit war es durchaus noch üblich, dass der Brotteig in einzelnen Familien selbst erzeugt wurde.

Auch bei den in der Weihnachtszeit gebackenen „Schittchen“ wurde so verfahren: In den einzelnen Häusern wurde der Teig hergestellt und am vereinbarten Backtag zum Bäcker gebracht, der dann die Schittchen formte und buk. Damit keine Verwechslungen vorkamen, wurden die Schittchen mit Metall- und Holzstäbchen gekennzeichnet.

An bestimmten Tagen wurden wöchentlich Kuchen gebacken, die auf großen, runden Blechen zum Abbacken in das Gemeindebackhaus gebracht wurden. Da in den Bauernfamilien täglich auch Kuchen auf dem Speiseplan stand, benötigte man große Mengen. Die runden Bleche hatten deshalb einen Durchmesser von ca. einem Meter und wurden auf dem Kopf zum Bäcker balanciert. Es waren meist sogenannte „trockene Kuchen“, die für gewöhnliche Arbeitswochen gebacken wurden. Typische Kuchensorten waren die aus einem Salmiakteig bestehenden Eierkuchen, die dann zu Hause mit einem Zuckerguss verfeinert wurden, und der „Thaleber“, ein Hefeteig mit einer Kakao-grieß-decke, die noch heiß mit Sahne begossen wurde.

Besonders zu Fest- und Feiertagen wurden auch „nasse Kuchen“ gebacken, also Kuchen mit einer flüssigen Decke, wie Mohn-, Quark- oder Obstkuchen. Erst im Backhaus wurde die Decke auf den Teig aufgestrichen, um ein Herunterlaufen zu verhindern.

Beim Warten auf die fertigen Kuchen wurde geschwatzt, die Neuigkeiten wurden ausgetauscht und es wurden natürlich die Kuchen kritisch beäugt. Für die Frauen, die jeden Tag in den Landwirtschaftsbetrieben schwer arbeiteten, waren diese Backtage wöchentliche Höhepunkte.

Sonnabends duftete es gegen 18 Uhr, wenn die Abendglocken läuteten, herrlich nach Kümmel und gebackenen Kartoffeln, denn viele Familien aßen zum Abendbrot Kartoffelscheiben mit Quark und Speck. Die Bleche mit den geschälten halbierten Kartoffeln, bestreut mit Salz und Kümmel, wurden von den größeren Kindern zum Bäcker gebracht und, nachdem die Kartoffeln gar waren, so schnell wie möglich nach Hause getragen, wo schon die ganze Familie auf das schmackhafte Essen wartete.

Frau Melitta Koch, geboren 1923, erinnert sich auch noch daran, dass in ihrer Kindheit der Bäcker am Sonntag für die Familien „Pfanne“ buk. Die Pfanne, heute würden wir das Gericht als Auflauf bezeichnen, gab man vor dem Gottesdienst im „Backs“ ab, nach dem Gottesdienst nahm man die nun fertige „Pfanne“ mit nach Hause und konnte das Mittagessen servieren.

Nicht nur für Backwaren wurde im „Backs“ gesorgt. Frau Hüneburg, geb. Grüber, berichtet, dass in der Bäckerei auch Obst, wie z.B. Zwetschen, in der Abwärme nach dem Backen von Brot und Kuchen getrocknet wurden. Auf großen Blechen brachten die Leute das entsteinte Obst und -im Backofen getrocknet- wurden daraus die geschätzten „Hotzeln“, die im Winter gute Vitaminlieferanten waren.

Auch  heute noch wird in unserem Dorf viel gebacken, allerdings im eigenen Haus. Die Zeit, in der das Backen ein Gemeinschaftserlebnis war, gehört leider der Vergangenheit an.

Ich bedanke mich bei allen, die mit mir ihre Erinnerungen an unser „Backs“ teilten, besonders bei Frau Elfriede Barche, Frau Hüneburg, Frau Anneliese Jentsch, Frau Melitta Koch, Frau Anneliese Krönig und ihrer Familie. Sollten Leser noch Erinnerungen beisteuern können, bin ich für alle Informationen, Fotos u.s.w. sehr dankbar.

 

Annerose Billert
Badra (Oktober 2019)

 

 
 
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